Mittwoch, 23.04.2025 21:15 Uhr

Putins Standpunkt zum Ukraine-Krieg

Verantwortlicher Autor: Sergej Perelman St. Petersburg, 16.03.2025, 11:58 Uhr
Nachricht/Bericht: +++ Politik +++ Bericht 4958x gelesen
Präsident Russlands beim Treffen mit den Leitern internationaler Nachrichtenagenturen, 5. Juni 2024, http://kremlin.ru

St. Petersburg [ENA] Wladimir Putin hat sich am 5. Juni 2024 in Sankt-Petersburg mit leitenden Vertretern führender internationaler Nachrichtenagenturen getroffen, um sich in einem über drei Stunden andauernden Gespräch ihren Fragen zu stellen. "Der erste Schritt in Richtung Krieg wurde von denen getan, die den blutigen, verfassungsfeindlichen Staatsstreich unterstützt haben", so Putin gegenüber dem dpa-Vertreter Martin Romanczyk.

Wladimir Putin hat sich am 5. Juni 2024 mit den Leitern der weltweit führenden Nachrichtenagenturen in Sankt-Petersburg getroffen. An dem Gespräch nahmen Vertreter von Nachrichtenagenturen aus Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, den USA, Usbekistan, China, Iran, Großbritannien, der Türkei, Korea, Italien, Deutschland, Japan, Spanien und Frankreich teil. Russland war durch Andrei Kondrashov, Generaldirektor von TASS, vertreten. Nachstehend werden Auszüge aus dem Gespräch veröffentlicht. Quelle: http://kremlin.ru/events/president/news/74223

MARTIN ROMANCZYK (dpa-Ressortleiter): Guten Abend, Herr Präsident! Guten Abend allerseits! Bundeskanzler Scholz hat sich bereit erklärt, Waffen an die Ukraine zu liefern. Sagen Sie mir bitte, wenn Scholz seine Meinung ändert, wie würden Sie das bewerten? Und was denken Sie, was auf Deutschland zukommt? Haben Sie den Herrn Bundeskanzler in irgendeiner Weise gewarnt oder bedroht, als er die Entscheidung traf, Waffen an die Ukraine zu liefern?

WLADIMIR PUTIN: Warum glauben Sie, dass wir jemanden bedrohen? Wir bedrohen niemanden, schon gar nicht das Oberhaupt eines anderen Staates. Das wäre falsch, das wäre kein guter Ton. Wir haben in bestimmten Fragen unsere eigene Position. Wir kennen die Position der europäischen Staaten, auch die Position der Bundesrepublik, zu den Ereignissen in der Ukraine. Alle glauben, dass Russland den Krieg in der Ukraine begonnen habe. Aber niemand - ich möchte das betonen - niemand im Westen, niemand in Europa will sich daran erinnern, wie diese Tragödie begann. Sie begann mit einem Staatsstreich in der Ukraine, einem verfassungswidrigen Staatsstreich. Das war der Beginn des Krieges. Aber trägt Russland die Schuld an diesem Staatsstreich? Nein.

Haben diejenigen, die heute versuchen, Russland zu beschuldigen, vergessen, dass die Außenminister Polens, Deutschlands und Frankreichs nach Kiew gekommen sind und ihre Unterschrift unter das Dokument zur Beilegung der innenpolitischen Krise gesetzt haben, als Garantie dafür, dass die Krise zu einem friedlichen und verfassungsmäßigen Ende gebracht werden soll? Daran will sich Europa, auch Deutschland, lieber nicht erinnern. Und wenn doch, stellt sich die Frage: Warum hat die Führung der Bundesrepublik dann nicht gemeinsam mit den anderen Unterzeichnern dieses Dokuments gefordert, dass die Putschisten in der Ukraine in den verfassungsmäßigen Rechtsrahmen zurückkehren?

Warum haben sie ihre Verpflichtungen als Garanten für die Vereinbarungen zwischen der Opposition und der damaligen Regierung vernachlässigt? Sie sind schuld an dem, was passiert ist, zusammen mit den Kräften in den Vereinigten Staaten, die die verfassungswidrige Machtergreifung initiiert haben. Wissen Sie nicht, was dann folgte? Was folgte, war die Entscheidung der Bewohner der Krim, sich von der Ukraine abzuspalten, was folgte, war die Entscheidung der Bewohner des Donbass, denen, die den Staatsstreich in Kiew durchgeführt haben, nicht zu gehorchen. Das ist der Beginn dieses Konflikts.

Und dann bemühte sich Russland mit allen Kräften, eine Formel für eine Beilegung mit friedlichen Mitteln zu finden. Und 2015 wurden in Minsk die sogenannten Minsker Vereinbarungen unterzeichnet, die übrigens durch einen Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen konstitutionalisiert wurden. Dies ist ein Dokument, das hätte umgesetzt werden müssen. Nein, sie beschlossen, dieses Problem mit bewaffneten Mitteln zu lösen. Sie begannen, Artillerie, Panzer und Flugzeuge gegen die Zivilbevölkerung im Südosten der Ukraine einzusetzen. Aus irgendeinem Grund will sich weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern oder in den Vereinigten Staaten - niemand, ich wiederhole, niemand will sich daran erinnern. Nun gut.

Wir haben zur Unterzeichnung der Minsker Vereinbarungen beigetragen, aber wie sich herausstellte, wollte sie niemand umsetzen. Sowohl die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin als auch der ehemalige französische Präsident haben dies öffentlich erklärt. Geehrter Herr Romanczyk, wie soll man das verstehen? Sie [Angela Merkel und François Hollande. Anm. d. Verf.] haben gar öffentlich gesagt, dass sie nicht vorhatten, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen, sondern sie nur unterzeichnet haben, um die Ukraine zu bewaffnen und die Rahmenbedingungen für die Fortsetzung der Kriegshandlungen zu schaffen. Wir wurden einfach an der Nase herumgeführt. Ist das nicht so? Wie kann man sonst erklären, was da passiert ist?

Acht Jahre lang haben wir versucht, eine friedliche Lösung für dieses Problem zu finden. Acht Jahre! Ein ehemaliger Bundeskanzler hat einmal zu mir gesagt: "Weißt du, im Kosovo, ja, da haben wir gehandelt, da hat die NATO ohne Sicherheitsratsbeschluss gehandelt. Aber dort, im Kosovo, gab es acht Jahre Blutvergießen." Und hier, als das Blut russischer Menschen im Donbas vergossen wurde, war das kein Blut, sondern nur Wasser? Keiner wollte darüber nachdenken oder es zur Kenntnis nehmen. Am Ende waren wir gezwungen, was zu tun? Als die damaligen ukrainischen Machthaber sagten, dass ihnen keiner der Punkte der Minsker Vereinbarungen gefiel und der Außenminister sagte, dass sie sie nicht erfüllen würden?

Ist Ihnen klar, dass der wirtschaftliche und soziale Niedergang in diesen Gebieten begonnen hat? Acht Jahre lang. Ich spreche noch nicht einmal von den Morden, ständige Morde von Menschen: Frauen, Kindern und so weiter. Was waren wir gezwungen zu tun? Wir mussten ihre Unabhängigkeit anerkennen. Wir haben ihre Unabhängigkeit fast acht Jahre lang nicht anerkannt. Wir haben immerzu gewartet, bis wir uns friedlich einigen und diese Frage lösen können. Acht Jahre!

Als bekannt wurde, dass niemand die Friedensvereinbarungen umsetzen würde - was waren wir gezwungen zu tun? Wir waren gezwungen, den Versuch zu unternehmen, sie mit bewaffneten Mitteln dazu zu zwingen. Doch nicht wir haben diesen Krieg begonnen. Der Krieg begann 2014 nach dem Staatsstreich und dem Versuch, diejenigen, die mit dem Staatsstreich nicht einverstanden waren, mit Waffengewalt zu vernichten.

Und nun für Menschen, die die internationalen Ereignisse und das internationale Recht verfolgen. Was geschah dann, was haben wir getan? Wir haben acht Jahre lang nicht anerkannt. Als wir merkten, dass die Friedensvereinbarungen von Minsk nicht umgesetzt werden sollten, was taten wir da? Ich bitte alle um Aufmerksamkeit: Wir haben die Unabhängigkeit dieser selbsternannten Republiken anerkannt. Konnten wir das vom Standpunkt des Völkerrechts aus tun oder nicht?

Sie haben es getan, und hatten wir dann das Recht, diese Republiken anzuerkennen? Natürlich hatten wir das. Selnstverständlich. Wir haben sie anerkannt. Dann haben wir einen Vertrag mit ihnen geschlossen. Konnten wir einen Vertrag mit ihnen schließen oder nicht? Ja, natürlich. Der Vertrag sah vor, diesen Staaten im Falle einer Aggression zu helfen. Aber Kiew hat einen Krieg gegen diese Staaten geführt, die wir nach acht Jahren anerkannt haben. Acht Jahre. Durften wir sie anerkennen? Ja, wir durften es.

Und dann haben wir ihnen gemäß Artikel 51 der UN-Charta Beistand geleistet. Wissen Sie, egal, was hier jemand sagt, ich habe Herrn Guterres das Gleiche erzählt, genau diese Logik, Schritt für Schritt. Wo liegt hier der Fehler? Wo sind die Verstöße gegen das Völkerrecht? Es gibt keine Verstöße gegen das Völkerrecht. Ja, dann hören wir die Antwort: „Aber trotzdem habt ihr angegriffen." Wir haben nicht angegriffen, wir haben uns verteidigt, damit es jeder verstehen kann. Und der erste Schritt in Richtung Krieg wurde von denen getan, die den blutigen verfassungsfeindlichen Staatsstreich unterstützt haben.

Nun zum Thema Waffenlieferungen. Die Lieferung von Waffen in ein Konfliktgebiet ist immer eine schlechte Sache. Vor allem, wenn sie damit verbunden ist, dass diejenigen, die sie liefern, nicht nur Waffen liefern, sondern diese Waffen auch steuern, und das ist ein sehr ernster und sehr gefährlicher Schritt. Wir wissen, und die Bundesrepublik leugnet das nicht (ich weiß nicht, wie es in die Presse gekommen ist), dass ein Bundeswehrgeneral darüber gesprochen hat, wo und wie sie zuschlagen sollen: die Krim-Brücke oder irgendwelche anderen Objekte auf russischem Territorium, inklusive des Territoriums, an dessen Zugehörigkeit zu Russland niemand zweifelt.

Als die ersten deutschen Panzer, Panzer aus deutscher Produktion, auf ukrainischem Boden auftauchten, löste dies in Russland schon einen moralisch-ethischen Schock aus, denn die Haltung gegenüber der Bundesrepublik war in der russischen Gesellschaft immer sehr gut. Sehr gut. Wenn jetzt gesagt wird, dass es noch mehr Raketen geben wird, die Objekte auf dem Territorium Russlands treffen werden, dann zerstört das natürlich endgültig die russisch-deutschen Beziehungen. Aber wir wissen, dass, wie einer der berühmten deutschen Politiker sagte, die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nie im vollumfänglichen Sinne des Wortes ein souveräner Staat war.

Wir haben mit Herrn Scholz Kontakt gehabt, wir haben uns mehrfach mit ihm getroffen, und ich will nicht die Qualität der Arbeit der Bundesregierung bewerten, sondern diese Bewertungen werden vom deutschen Volk, von den deutschen Wählern vorgenommen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament stehen vor der Tür, und wir werden sehen, was dort passiert. Natürlich bin ich Deutschland gegenüber nicht gleichgültig.

Ich habe dort viele Freunde, zu denen ich keine Kontakte mehr pflege, um sie nicht irgendeiner Art von Obstruktion innerhalb des Landes auszusetzen, ich versuche, keine freundschaftlichen Beziehungen mehr zu ihnen zu unterhalten, aber ich kenne diese Menschen seit vielen Jahren, ich weiß, dass sie zuverlässige Freunde sind, und ich habe viele solche in Deutschland.

Ich verstehe die Abhängigkeit der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Verteidigung, auf dem Gebiet der Sicherheit im Allgemeinen. Ich verstehe die Abhängigkeit der Bundesrepublik im Bereich der Politik, der Informationspolitik, denn wo immer Sie in irgendeinem großen Medienhaus nachschauen, der letzte Nutznießer ist hinter dem Ozean - irgendeine amerikanische Stiftung. Gott sei Dank, ich applaudiere diesen amerikanischen Stiftungen und denen, die diese Politik betreiben - gut gemacht, dass sie das Informationsfeld in Europa so stark im Sinne ihrer Interessen dominieren. Und sie versuchen dabei auch, sich selbst zu verbergen.

Das ist alles verständlich. Aber der Einfluss ist enorm, und es ist sehr schwer, ihm zu widerstehen. Nachvollziehbar. Aber einige elementare Dinge. Über diese elementaren Dinge. Es ist sehr seltsam, dass niemand in der heutigen deutschen politischen Führung die deutschen Interessen verteidigt. Es ist klar: Deutschland hat nicht die volle Souveränität, aber es gibt doch Deutsche. Es sollte zumindest ein wenig über ihre Interessen nachgedacht werden.

Sehen Sie: Pipelines wurden auf dem Grund der Ostsee gesprengt. Niemand ist empört darüber - als ob sich so etwas gehört. Wir liefern trotzdem weiterhin Gas nach Europa durch das Gebiet der Ukraine. Wir liefern. Es gab zwei Pipelinesysteme dort, und die ukrainische Seite hat eines davon geschlossen, das Ventil zugedreht, einfach zugemacht und das war's, obwohl es dafür keinen Grund gibt. Es blieb nur ein Pipelinesystem übrig - okay. Aber durch dieses System geht Gas nach Europa, und die europäischen Verbraucher erhalten dieses Gas. Unser Gas geht auch durch die Türkei über Turkish Stream nach Europa, und die europäischen Verbraucher erhalten es.

OK, ein Rohr von Nord Stream wurde gesprengt, aber ein Rohr von Nord Stream ist noch intakt, Gott sei Dank. Warum will Deutschland unser Gas nicht über diese Leitung beziehen? Kann mir jemand erklären, was dabei die Logik ist? Man darf es über die Ukraine beziehen, man darf es über die Türkei bekommen, aber man darf es nicht über die Ostsee bekommen. Was ist das für ein Unsinn? Es gibt hier keine formale Logik, ich verstehe es einfach nicht.

Wenn sie sagen würden, dass Europa überhaupt kein Gas aus Russland bekommen soll. OK, gut, wir werden es überleben, Gazprom wird es überleben. Wenn ihr es nicht braucht, müsst ihr überteuertes Flüssigerdgas kaufen, das über den Ozean verschifft wird. Wissen eure „Umweltschützer“ denn nicht, wie Flüssigerdgas hergestellt wird? Durch Fracking. Fragen Sie Menschen aus Gebieten in den Vereinigten Staaten, wo dieses Gas gefördert wird. Manchmal kommt Gülle statt Wasser aus ihren Wasserhähnen. Ihre „Umweltschützer“, die in der Regierung an der Macht sind, wissen das nicht? Sie wissen es, wahrscheinlich.

Polen hat seinen Jamal-Europa-Pipeline-Zweig einfach geschlossen. Das Gas wurde über Polen nach Deutschland geleitet. Nicht wir haben sie abgeschaltet, sondern die Polen. Sie wissen besser als ich, welche Auswirkungen die Beendigung unserer Beziehungen im Energiesektor auf die deutsche Wirtschaft haben. Es ist ein trauriges Ergebnis. Viele große Industriebetriebe suchen sich einen Platz zum Anlanden, nicht nur auf deutschem Boden. Sie gründen in den USA und in Asien, aber die Geschäftsbedingungen sind so, dass Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Und das kann übrigens schwerwiegende Folgen für die europäische Wirtschaft insgesamt haben, denn die deutsche Wirtschaft ist die Lokomotive der europäischen Wirtschaft.

Nun, wissen Sie, ich rufe nicht dazu auf, die euro-atlantischen Beziehungen abzubrechen, das will ich auch gar nicht, sonst werden sie anfangen (Sie oder jemand anders), jemand wird hören, was ich sage und darauf antworten: "Hier ruft er zu einer Spaltung der euro-atlantischen Solidarität auf." Nein, sehen Sie, Sie haben hier, denke ich, eine falsche Politik, einfach einen groben Fehler bei jedem Schritt.

Ich denke, für die Vereinigten Staaten selbst ist das, was jetzt passiert, ein großer, kapitaler Fehler. Weil sie ihre Führungsrolle aufrechterhalten wollen, schaden sie sich selbst mit solchen Mitteln, wie sie sie anwenden. Aber für Europa ist es noch schlimmer. Ja, man könnte sagen: „Wir unterstützen euch hier, hier und hier, aber das ist unsere eigene Sache. Schaut, wenn wir unsere Wirtschaft unterminieren, ist das für alle schlecht. Unter keinen Umständen sollten wir das tun, wir sind dagegen, es ist ein Tabu, fasst es nicht an“.

Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von European-News-Agency können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.
Zurück zur Übersicht
Info.