
Drewermann verkündet jesuanische Zeitenwende in Ulm
Ulm [ENA] Mehrere hundert Demonstranten nahmen am diesjährigen Ulmer Ostermarsch am Karsamstag teil. Nach einem Protestaufzug von der dort ansäßigen NATO-Kaserne zum Marktplatz hielt der Theologe Eugen Drewermann eine berauschende, sehr ergreifende und umfassende Rede, in der er unter anderem betonte, dass Angstfreiheit die Voraussetzung für Frieden ist und dass man mit der Bergpredigt Politik machen müsse.
Bei der Eröffnungsrede des Ulmer Ostermarsches 2025 vor den Toren der Wilhelmsburckaserne hob Rainer Schmid (Ulmer Friedensbewegung) mehrmals das Motto des Ostermarsches hervor: Friedensfähigkeit, statt Kriegstüchtigkeit und erläuterte: "Aber vor allem ist hier das NATO-Hauptquartier 'JSEC'. Das 'JSEC' organisiert die Truppen- und Materialbewegungen durch ganz Europa, damit Militärtransporte zu Land, in der Luft und auf der Schiene möglichst schnell an die NATO-Ostflanke kommen. Wir die Ulmer Friedensbewegung wir fordern schon immer die Umwandlung dieser Kaserne in ein Wohngebiet oder in einen Freizeitpark oder in ein Naturschutzgebiet." Das Geld solle lieber in Schulen, Kitas, öffentliche Verkehrsmittel investiert werden, ergänzte er.
Im Aufruf fordern die Veranstalter des Ulmer Ostermarsches die Hinwendung zu nicht-militärischen Konfliktlösungen und konkretisieren dies wie folgt. Diplomatie statt Waffen. Für bedingungslose Verhandlungen. Für aktiv-gewaltfreie Methoden der Konfliktlösung. Für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern. Gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern in Europa. Für die sofortige Abschaffung von Atomwaffen. Für die Umstellung aller Rüstungsbetriebe auf zivile Produktion. Für Investitionen in Daseinsvorsorge statt in Rüstung, Militär und Krieg. Für Friedensbildung, eine Zivilklausel an Hochschulen und eine Stärkung der Friedensforschung. Gegen jegliche Bundeswehrwerbung.
Nachstehend werden Auszüge aus der höchst bemerkenswerten und mitreißenden Rede des Theologen, Psychotherapeuten und Schriftstellers Dr. Eugen Drewermann veröffentlicht. In Gänze können Sie sich die Rede unter dem folgenden Link anhören: https://youtu.be/-fh5deSbU98?si=5LE1M68Mun0tu72O
Die Friedensbewegung, so lange ich sie kenne, hat einen zentralen Fehler begangen, den wir heute Abend oder Nachmittag ausräumen müssten und könnten. Sie hat immer wieder für Frieden plädiert aus Angst vor dem Krieg. Auch jetzt: "Oh Gott, es könnte ja ein Atomkrieg kommen. Oh, wie furchtbar!" Das war bei der Dislozierung der Pershing II 1973 für Hunderttausende Grund, in Bonn aufzumarschieren, weil jeder wußte, bei einem Auseinandersetzungskrieg zwischen Russland und den USA werden Atombomben nicht in der Wüste von Nevada abgeworfen, sondern just hier in Deutschland. Angst also für Frieden.
So aber kann der Frieden nicht kommen, denn Angst ist immer dialektisch. Jetzt droht man uns mit dem Aggressor Putin. So wie ich das kenne seit 1952 vor dem Aggressor Stalin. Immer war der Russe gefährlich, immer kam er durch ganz Europa, immer wollte er alles besetzen. Dabei sind und waren wir selber es, die Deutschen, zweimal in Russland schon, jetzt ein drittes Mal wieder gegen Russland. Man macht uns Angst, damit man Krieg führen kann und die Bevölkerung fängt an, es zu glauben. Wir müssen stark sein und wir müssen uns wehren. Und plötzlich begeben wir uns in ein Irrenhaus mit der Diagnose Paranoia.
Denn die ganze menschliche Geschichte sehen Sie gekennzeichnet durch dieses absolute Drama: Wir müssen das Böse bekämpfen, denn das Böse ist das Destruktive. Es macht uns Angst und was setzen wir dagegen? Gegengewalt! Wir müssen stärker sein als der Böse, indem wir noch böser werden und ihn niederzwingen mit den Waffen, die er einsetzen könnte, die wir aber schon verbessert haben, ehe er sie einsetzen kann. Und wir werden ihn vernichten. Baerbock Sprache: "Russland ruinieren". Ich höre sagen aus den Mündern der Politiker: "Man kann mit der Bergpredigt keine Politik machen". Ich sage es mit Mahatma Gandhi: "Es gibt keinen Weg zum Frieden. Der Weg zum Frieden ist der Friede! Und wer nicht mit ihm anfängt, kann nicht bei ihm ankommen."
Genau so konnte Gandhi sagen: "Man muss mit der Bergpredigt Politik machen oder man wird überhaupt nie einen Frieden erreichen". Und warum? In Münster beim Treffen der Außenminister fragte mich ein Reporter: "Was werden Sie jetzt sagen?" Ich sage: "Leistet dem Bösen keinen Widerstand". "Wie bitte?" Ich sage: "Ja, Matthäus fünftes Kapitel, Vers 39, die Bergpredigt". "Verstehe ich immer noch nicht." Ich sag': "Deshalb halte ich einen Vortrag". "Habe ich keine Zeit für." Gut, dann hetzen Sie weiter in Gedankenlosigkeit in das nächste Drama des Massenmordes. Schreiben Sie in der Zeitung Mit der Bergpredigt darf man keine Politik machen, weil wir den Frieden nicht wollen.
Wir wollen unsere Macht, die Demonstration unserer Gewalt. Wir sind die Richtigen und die Guten im Kampf gegen die Bösen. Schreiben Sie jeden Quatsch, nur berufen Sie sich nicht mehr auf mich dabei. Mir reicht dieser eine Satz der Bergpredigt, der die ganze Welt verändern könnte, die gesamte Politik. Würden Sie aus eigener Erfahrung kennen. Sie gehen nach Hause und Ihr Sohn macht irgendetwas, das Ihnen nicht passt. Dann können Sie ihn anfahren: "Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, hörst du auf mich. Ich bin der Herr im Hause." Wenn Sie Krach haben wollen mit Ihrer Frau, können Sie genauso loslegen: "Du bist doch vollkommen... Ich weiß doch, wie es ist. Hör jetzt mal zu!"
Nach dieser Art üben Sie Gewalt aus und eskalieren den Konflikt bis zum Unlösbaren. Genau das Gleiche erleben sie in unserer Politik. Für Pädagogen nehme ich noch ein anderes kleines Beispiel. Auf dem Pausenhof sind mal wieder zwei Jungs aufeinander losmarschiert. Die Klasse schaut zu und beide haben ihre Unterstützer: "Hautse, hautse!" Jeder hat da seine Vorstellung, wie man richtig draufschlägt. Der eine ist schwächer als der andere schon von Statur. Dem muss man helfen. Vielleicht ein Taschenmesser könnte helfen. Wenn der ein Taschenmesser hat, braucht der andere ein Bajonett. Nein, wenn der ein Bajonett hat, brauchen wir eine Handgranate. So können wir dranbleiben.
Kein Lehrer auf dem Pausenhof will die Eskalation der Gewalt in dieser Weise unterstützen. Er wird simpel sagen: "Ihr hört jetzt auf". "Aber der hat ja angefangen." "Es ist mir völlig egal, wer angefangen hat. Ich will jetzt, dass ihr beide aufhört. Und dann müsst ihr reden über die Gründe eures Zwistes." Was hasst ihr derart an dem anderen, dass ihr ihn nur verprügeln mögt, statt euch zu verständigen? Eines in dem Satz Jesu ist absolut von entscheidender Bedeutung. Wir haben Angst vor dem, was wir auf der Gegenseite als das Böse betrachten. Aber wenn wir in dieser Weise eskalieren, mit Gewalt dagegen anzugehen, ignorieren wir die Angst, die wir dem anderen machen.
Unsere Angst ist exakt dieselbe, die wir auslösen bei demjenigen, den wir den Gegner nennen. Auch dafür noch ein Beispiel. Helmut Schmidt redet mit Breschnjew zu Dislozierung der Pershing II. Und der Russe sagt: "Wenn ihr eure Raketen in Deutschland stationiert, dicht an den Grenzen Russlands, haben wir Angst." Und Helmut Schmidt sagt: "Eure Sam II-Raketen machen uns Angst. Wir sind in Deutschland das dicht besiedeltste Gebiet in Europa". Was für eine Chance!, frage ich Sie, wenn die beiden Politiker gesagt hätten: "Wir hören auf mit der Idiotie 'Wer macht wem mehr Angst? Wer beantwortet die eigene Angst mit Angstverbreitung, mit Aufrüstung, mit immer stärkeren Waffen?'"
'Wir hören damit auf, weil da kein Mensch ein Mensch bleiben kann, sondern jeder wird zum Terroristen der Gegenseite. Das wird kein Frieden, sondern bestenfalls am Ende ein Gleichgewicht des Schreckens. Terror der Politik angeblich als Frieden. Wir hören damit auf.' Hätten wir 1973 haben können, durfte aber nicht, weil Amerika seine Raketen natürlich in Westdeutschland stationieren musste. Was Sie jetzt lernen, ist grundsätzlich von Belang. Wir bekämpfen das Böse als ein Symptom und die Gründe, wie es zustande kommt, dürfen uns nicht interessieren. So ist einheitlich die Sprache heute: 'Wir müssen uns verteidigen gegen den russischen Angriffskrieg.' Wie ist er denn zustande gekommen, der Angriffskrieg?
Das darf man nicht denken, das darf man nicht sagen. Das ist ja das Narrativ von Putin. Das ist ja wieder mal Russlandhörigkeit. Wieder sind wir 70 Jahre später die nützlichen Idioten irgendeines russischen Diktators. Es ist aber ganz wesentlich, dass wir die Hintergründe begreifen. 1989 aus den Händen eines Russen lag der Frieden fertig auf dem Tisch. Und die russische Armee tat, was versprochen war. Sie zog sich aus Gesamtdeutschland zurück, aus dem Baltikum zurück. Versprochen war Gorbatschow, die NATO, wenn sie nicht ganz überflüssig ist nach Abbau des Warschauer Paktes, wird sich keinen Zentimeter nach Osten weiter bewegen. Baker sprach das, Kohl repetierte es in Moskau und es war von Anfang an eine bedachte Lüge.
Die NATO hatte damals 17 Staaten, heute hat sie 34 Staaten. Alle aufgenommen Richtung Osten. Auch dazu hat Helmut Schmidt beizeiten schon genauso wie Henry Kissinger warnend gesagt: "Wenn ich Russe wäre und ich sähe wie die NATO von der Ode an die Weichsel, von der Weichsel an die Westgrenze Russlands vormarschiert, hätte ich Sorgen". Kissinger nennt die NATO- Osterweiterung diplomatisch "einen schweren Fehler". Was sind die Gründe für einen Krieg?
Herr Scholz, wenn Sie sich mal interessieren würden für Philosophie, wie Sie hier reden halten über Immanuel Kant oder vielleicht sogar über Geschichte, könnten Sie wissen, dass im 16. Jahrhundert Machiavelli sagen konnte: Nicht immer der ist schuldig, der einen Krieg beginnt, sondern derjenige, der ihn treibt, den Krieg zu beginnen. Wir kommen aus der Bekämpfung des Bösen nicht anders heraus, als indem wir hineinschauen in die Gründe, die dazu geführt haben. Das ist entscheidend die Botschaft der Bergpredigt, der Anfang jedes wirklichen Friedens. Nicht dem anderen noch mehr Angst machen, sondern abbauen durch Vertrauen.
Einzug in Jerusalem zum Frieden. Im Schatten ihres wunderbaren Domes, geboren aus den Wirren auch des 30-jährigen Krieges, wäre das die Botschaft von Ostern. Aber wie soll es jetzt weitergehen? Wie reden wir miteinander, so dass Frieden entstehen könnte? Ein zentraler Fehler war nicht nur die NATO-Ostausdehnung, sondern die Idee, die dahinter stand. 1989 das fertige Friedensangebot: Abrüstung vom Ural bis zum Atlantik. Konversion der unglaublichen Mittel: wirtschaftlich, wissenschaftlich, medizinisch, wie Sie wollen, sozial zur Lösung der wirklichen Probleme der Menschheit, in der Millionen Menschen verhungern. Aber dafür haben wir kein Geld! Aufnahme von Flüchtlingen. Dafür haben wir kein Geld.
Soziale Maßnahmen in den Ländern, wo Menschen nicht mehr leben können. Dafür haben wir kein Geld. Für nichts haben wir Geld, außer für Rüstung und für Waffen. Übrigens einer, der das noch zu sagen wagt, ist Papst Franziskus. Auf den könnten Katholiken oder Friedensbewegung heute mal hören. In seiner Autobiographie 'Hoffe' schreibt er simpel: "Welch ein Wahnsinn zu glauben, dass ein Krieg etwas Gutes brächte. Das einzige, was der Krieg bringt, ist das Steigern der Rüstungsproduktion für die Industrie. Die mästet sich am Blute der Erschlagenen wie ein Vampir. Jeder Krieg ist Wahnsinn."
So müssten wir die Diagnose stellen. Immer mehr Waffen, Aufrüsten kann nicht zum Frieden führen, sondern ist wirklich die Psychose einer Paranoia, aus der wir nicht herauskommen, außer durch eine Botschaft von wo ganz anders her, wie ich sie gerade vortrage. Nicht mehr Machtpolitik, das hatten wir 1990: 'Russland jetzt ist schwach, der Warschauer Pakt zusammengebrochen. Unsere Chance nicht zum Frieden, sondern wir haben gesiegt im Kalten Krieg. Wir sind die einzig verbliebene Großmacht! Und jetzt müssen wir verhindern, dass an unserer Seite neue Konkurrenten entstehen: Das wäre Russland, das wäre China. Das muss man verhindern!' [...]
2001 Krieg in Afghanistan. Die Taliban haben mit dem Sturz der 'Twin Towers' überhaupt nichts zu tun, aber Afghanistan grenzt im Süden an Russland und China, und es hat eine Menge Rohstoffe. Da müssen wir hin. 20 Jahre Krieg. Und wie wirbt man dafür? Da haben Sie Experten der Psychologie. Wir müssen die Frauen dafür gewinnen. Die Frauen sind nicht einfach dafür, Menschen abzuschlachten. Menschen in Not zu lassen. Wenn wir sagen, wir führen einen Krieg in Afghanistan, um die afghanischen Frauen zu befreien und ihnen die Burka abzunehmen, dann haben wir sie gewonnen.
Diese Idiotie glaubt man in der Bevölkerung immer wieder, so dass man nur Egon Bahr folgen kann, der in einer Schulklasse mal gesagt hat: "Wenn sie wiederkommen und haben moralische Gründe für einen Krieg, glaubt ihnen den Teufel. Es geht um Macht und nichts anderes." 2003 der nächste Krieg im Irak. Wieder ein verlogener Krieg. Anschließend 2011 Abschaffung in Libyen, weil es eine Erdölwirtschaft für Afrika zu bringen droht, die den Dollar gefährden könnte. Weg also mit Gaddafi. Damals hat Putin noch im Weltsicherheitsrat zugestimmt, eine Flugverbotszone einzurichten zwischen Bengasi und Tripolis, um das Schlimmste zu vermeiden.
Um mitzuerleben, dass man gar keine andere Absicht hat, als einen vermeintlichen Diktator zu ermorden und Regime Change durchzusetzen. Und die Waffen aus Libyen gingen gleich weiter nach Syrien, um dort das nächste Regime-Change-Programm zu starten. 2011 haben wir Bürgerkrieg in Syrien, 2014 den Maidan-Putsch. Ein Land nach dem anderen, das Russland nicht bereit oder fähig ist zu verteidigen, wird ihm weggenommen: Georgien, Moldawien, wie immer wir können. Das müssen wir machen aus Machtgründen. Können wir verstehen, was die Botschaft Jesu mal war? Wenn du Gewalt einsetzt aus Angst, wenn du Krieg akzeptierst als Instrument zum Machtgewinn, kann Frieden prinzipiell nicht entstehen.
1941 wird ein junger Deutscher, Wolfgang Borchert mit Namen eingezogen an die Ostfront. Er verstümmelt sich, um kriegsuntauglich zu werden, wird in ein Strafbataillon versetzt und liegt ab 1945 mit schweren Lungenleiden sterbend in Basel. Vermittelt hat er der Menschheit einen Appell wie zum Erbe. Ich zitiere frei. "Mutter in der Ukraine. Mutter in Deutschland. Wenn sie jemals wiederkommen und dir sagen, du sollst Kinder gebären. Mädchen für die Spitäler als Krankenschwestern. Jungen für die Schützengräben als Soldaten. Mutter in der Ukraine. Mutter in Deutschland sagt "Nein!".
Eines schicke ich noch hinzu. Mein Vater, August 1914, meldete sich freiwillig zur kaiserlichen Armee, wurde nach Osten verlegt und lief zu Fuß bis Baranowitschi. Abends, wenn die wechselseitigen Mordattacken mit den MG-Feuer eingestellt wurden, brach Stille aus in den deutschen Schützengräben. Drüben, 300 Meter weiter, fingen die Russen an zu singen. Mein Vater war kein Dichter, aber das konnte er sagen: "Die russische Seele ist eine Nachtigall." Ich habe ihn erstaunt gefragt: "Und darf man Nachtigallen vom Himmel schießen?" Darauf gab es keine Antwort mehr.
Dostojewski, kurz vor seinem Tode, hielt eine Rede auf Puschkin. Versöhnt sich gleichzeitig mit Turgenjew und erklärt am Ende seiner Rede die Zusammenfassung von allem, was ich Ihnen sagen wollte: "Der Russe ist ein Mensch, der alles versteht." Dostojewski, wenn du recht hast, lass uns alle Russen werden. Ich danke Ihnen sehr. Die Dankbarkeit liegt ganz bei mir. Von Herzen wünsche ich Ihnen gesegnete Ostern. Denn das ist das Menetekel zu glauben an das Leben und nicht länger an den Tod und nicht an eine Sicherheit, die darin besteht, Menschen umzubringen, die den Frieden wollen. Ostern ist der Anfang der Wahrheit, als Menschen sich zu bewähren und zu bewahrheiten.