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Über das seltsame Leben eines Politikers

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 21.09.2022, 16:04 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 14506x gelesen

Salzburg [ENA] Nach Max Weber (1919) zeichnet sich ein Politiker durch "sachliche Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und ein distanziertes Augenmaß" aus. Mit anderen Worten: Ein couragierter Volksvertreter benötigt ein Mindestmaß an Kompetenz, moralischer Integrität sowie die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Für Stanislaw Lem hingegen sind Politiker "selbsternannte Experten". Welchem Anspruch werden Politiker nun gerecht?

Das Ringen um Geltung: Der Kampf nach oben, um Einfluss und Macht, kann in der Politik bisweilen lange dauern – als Gewinner werden meist Menschen gekürt, die den oft jahrelangen Weg zumindest äußerlich unbeschadet überstehen. Nicht selten helfen illustre Netzwerke, intransparente Lobbyisten und andere undurchsichtige Manöver, damit ein Kandidat endlich Parteichef, Landeshauptmann, Minister oder Bundeskanzler wird. Wenn dieser endlich den ersehnten Platz am Futtertrog der Macht einnimmt, will er denselben natürlich nicht so schnell wieder verlassen.

Als Politiker in einer einflussreichen Position diskutiert man in der Folge gerne mit, welche Qualifikation man in dem Land braucht, um eine x-beliebige berufliche Karriere machen zu können (dürfen). Bemerkenswerterweise gibt oder braucht es aber nicht einmal eine Ausbildung zu der Tätigkeit, die man selbst ausübt. Die „Dinge in der Stadt, im Staat“ (griech. „politikà“) lassen sich schon irgendwie bewältigen – Hauptsache, man agiert populistisch (damit die Leute das hören, was sie hören wollen), ist einigermaßen attraktiv (damit man gefällt und ankommt), aalglatt (damit man nicht angreifbar ist), medial omnipräsent (damit jeder weiß, wie wichtig man ist), und gut vernetzt (damit die Arbeit auch getan wird.

In der Regel wird diese von zahlreichen Berufsbeamten in den Ministerien, Landesregierungen etc. und/oder sündhaft teuren, externen Experten verrichtet.) Dass bisweilen völlig unfähige Menschen die Karriereleiter munter emporsteigen und erst spät enttarnt werden, ist ein gut bekanntes und viel diskutiertes Phänomen der Sozialwissenschaft und der Psychologie. Freunderlwirtschaft ersetzt oft jede Qualifikation.

Die ehrgeizigen Jungpolitiker sind Mitglied in einem Bund, einer Landesgruppe, einem verschwiegenen Zirkel, in einer weniger geheimnisvollen, dafür aber schlagenden Verbindung oder in schicken Gesellschaften, wobei – und das ist der springende Punkt – diese Zugehörigkeit und eine absolute Loyalität zur Partei oft die einzigen Kriterien für eine Karriere darstellen. Dass in der Folge die mühsam errungene Macht mit den Netzwerken und Seilschaften, die die Nachwuchshoffnung oder den Nachfolgekandidaten hervorgebracht haben, geteilt werden muss, versteht sich von selbst.

Hoimar von Ditfurth hat schon vor vielen Jahren bemerkt, dass „Politiker eine heilige Scheu davor haben, öffentlich zuzugeben, dass sie in ihren Entscheidungen nicht mehr frei sind (vielleicht gestehen sie das nicht einmal sich selbst ein).“ Das ständige Schielen auf die Erhaltung der Macht, auf die eigenen, üppig gefüllten Futtertröge lässt Politiker vielfach empfindungslos gegenüber der Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens werden. Während sie wie willfährige Marionetten am Gängelband diskreter Lobbyisten, internationaler Konzerne und Syndikate baumeln, geben sie selbstbewusst vor, gewissenhafte Staatsmänner zu sein.

Hat man als Staatsbürger nur mehr die „Freiheit“, Gesetze zu befolgen, die man freilich nie ausdrücklich befürwortet hat, Politikern zuhören zu müssen, die man nicht gewählt, dafür aber mit reichlich Steuergeld ausgestattet hat, wobei man die Höhe der Steuern auch zu keiner Zeit (mit)bestimmt hat? Ob dieser Art der Wille des Volkes den Respekt erhält, den er gemäß der Verfassung verdient, ist sehr zu bezweifeln.

Peinlich oder quälend wird es, wenn ein Politiker ungeachtet seines Versagens auf seinem Posten kleben bleibt, obwohl das Unvermögen einem Volksschüler auffällt, die korrupten Machenschaften und unwahren Behauptungen längst aufgedeckt oder gerichtsanhängig sind. Von der Opposition lautstark gefordert, vom Boulevard dramatisch inszeniert und vom Großteil der Bevölkerung erwartet, erschallen vielfach die Rufe nach Rücktritt. Nach tagelangen Dementis nimmt der angezählte Volksvertreter dann doch den sprichwörtlichen Hut und räumt seinen wohl dotierten Arbeitsplatz.

Bei der Abschieds-Pressekonferenz vergießt der nunmehrige „Ex“ oft noch Krokodilstränen, wobei er auf Fragen nach seiner persönlichen Zukunft zumeist eine Rückkehr in ein politisches Amt ausschließt. Nicht selten scheitert eine politische Hoffnung ziemlich schnell an der Diskrepanz von Anspruch und Realität, vollmundigen Ankündigungen und gescheiterten bzw. dilettantischen Umsetzungen.

Das Leben nach der Politik: In der politischen Karriere wird ein Politiker mit sensiblen Informationen konfrontiert: Er erhält heikle Daten und erlangt komplexe Kenntnisse aus dem Innenleben eines Ministeriums, eines Staates oder einer internationalen Staatengemeinschaft. Mitunter bekommt er Einsicht in interne Strategien staatsnaher Betriebe, Berechnungen über die Volksgemeinschaft und die Infrastruktur des Landes. Zudem hat er Zugang zu detaillierten Berichten, Umfragen und Überlegungen wirtschafts-, gesundheits- und verteidigungspolitischer Art, zu internen Schriften also, die in den Hinterzimmern der Macht erarbeitet, ausgetauscht und diskutiert werden.

Noch gefährlicher ist es freilich, wenn Politiker von demokratiepolitischen Schwachstellen oder riskanten Mängel und Fehlleistungen einzelner Ressorts erfahren. An genau diesen Informationen sind global agierende Konzerne und fremde Nachrichten-dienste interessiert. Auf kritische und problematische Fakten sind zwielichtige Unternehmen und unfreundlich gesinnte Staaten sogar besonders neugierig. Wenn man nun als Polit-Pensionär nicht mehr im Scheinwerferlicht steht, aber weiterhin Einfluss behalten und viel Geld verdienen will, wird man Berater, Konsulent oder Vermittler und bietet sich zweifelhaften Firmen bzw. ausländischen Mächten an. Als Politiker a.D. verfügt man schließlich über viel Insider-Wissen – und verkauft dieses nun...

Deshalb muss die Frage erlaubt sein, wem die Kenntnisse, die ein Volksvertreter in seiner Laufbahn sammelt, eigentlich gehören. Es soll ja hinreichend Ex-Politiker (jeglicher Partei) geben, die ihr Wissen nicht unbedingt „lupenreinen Demokraten“ und nicht wirklich wohltätigen Konzernen und Syndikaten preisgegeben haben – und das wohl nur zu ihrem eigenen Nutzen! Genügend global agierenden Firmen hat man längst nachgewiesen, dass sie Daten und personengebundene Informationen widerrechtlich kaufen und verkaufen. Zudem zeigen Recherchen investigativer Journalisten, dass viele dieser Unternehmen Persönlichkeitsrechte, eine demokratische Mitbestimmung und den Schutz von Daten geflissentlich respektive bewusst ignorieren.

Die Antwort kann also nur lauten: Ein Politiker hat ausschließlich dem Staat und seinen Bürgern zu dienen – auf genau diese Bestimmung wird er schließlich vereidigt. Auch wenn unmittelbar bei einer Wahl gerne auf den Souverän, das Volk, verwiesen wird – danach kann sich kaum ein Volksvertreter an diese Floskel erinnern. Allein schon darum müsste ein Staat im Sinne einer Volksgemeinschaft auf das staatspolitische Wissen eines Politikers „aufpassen“ bzw. eine unberechtigte Weitergabe desselben verhindern können.

Juristisch erscheint der Tatbestand „Missbrauch der Macht“ naturgemäß kompliziert, denn wie soll eine unlautere Verwendung oder die unzulässige Weitergabe von brisanten Informationen bewiesen werden? Mit definierten „Ausstiegsklauseln“, zeitlich limitierten Berufsverboten und wirksamen Gesetzen könnte man allerdings Abhilfe schaffen. Eines ist dennoch sicher: Der Steuerzahler, der nicht nur den Politiker, sondern das ganze politische System bezahlt, schaut wieder einmal ohnmächtig durch die Finger.

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